Ein guter Artikel, und eine anscheinend notwendige Interpretation

Torben Thies schreibt in seinem aktuellen Kalenderblatt zum SCG-Artikel von Gavin Verhey: “Schreiber, die sich so etwas trauen, müssen belohnt werden.”

Da hat er Recht, und deswegen verlinke ich diesen Artikel hier auch noch einmal!

In der deutschen Magic-Szene (natürlich gilt diese Erkenntnis weit über diese Szene hinaus) ist es weiterhin üblich, bekannte Pros mit guten Artikelschreibern gleichzusetzen. Das führt einerseits dazu, dass mäßige oder sogar miserable Texte von Pros allgemein gelobt und deren Aussagen kritiklos übernommen werden; andererseits dazu, dass ordentliche Texte eher unbekannter Schreiber oft härter und häufig ohne Grundlage inhaltlich kritisiert werden; schließlich auch dazu, dass gute Artikel von unbekannten Schreibern übersehen werden. Der dritte Punkt gilt leider auch für mich, denn bei dem Überangebot von Lesemöglichkeiten im Netz muss man einfach irgendeine Vorauswahl treffen. Um so schöner, wenn Torben mit einer aussagekräftigen Kurzbesprechung dazu beiträgt, dass man einen solchen lesenswerten Artikel findet!

Erstaunlich finde ich allerdings die Aussagen, dass der Text nicht wirklich verstanden wurde, und zwar deswegen, weil sie ausgerechnet von Torben und von Tobi stammen, denen ich doch eigentlich Leseverständnis zutraue. Gavins Grundaussage ist unterhaltsam und überzeugend verpackt, aber letztlich recht simpel, und er hat sie sogar ausdrücklich in den Text selbst hineingeschrieben:

Being comfortable will get you killed.

I only know I fell in love with the idea of loving you.

Oh, und das Fazit befindet sich sogar bequemerweise im Titel:

Breaking Up (Is Hard To Do)

Einfach darum geht es: Man arrangiert sich zu oft mit Dingen, bei denen man sich nur einredet, dass man mit ihnen wirklich glücklich ist. Man belügt sich selbst, weil man damit kurzfristig zufriedener ist, als wenn man die Mühe auf sich nimmt und die damit verbundene Unsicherheit riskiert, einen eigentlich notwendigen Neuanfang oder Umbruch zu wagen. Das gilt bei einer eingefahrenen Beziehung ebenso, wie beim Festhalten an einem Petdeck.

Auf Dauer ist die Bequemlichkeit der Gewohnheit jedoch nicht genug – der Partner oder das Deck muss etwas Substanzielles darüber hinaus anbieten. Der Wunsch, einen geeigneten Partner zu finden; das Bedürfnis, ein für ein Turnier geeignetes Deck zu finden: Bei beiden darf man nicht über das Attribut GEEIGNET hinwegsehen, weil man damit glücklich ist, sich einreden zu können, ihn oder es GEFUNDEN zu haben.

Tut das Deck wirklich das, was es soll? Hat der Partner in der Beziehung wirklich etwas zu bieten? Oder bieten beide jeweils nur gerade so viel, dass es einem schwer fällt, sich von ihnen zu trennen?

Der vermutlich schwerstverständliche Teil des Artikels ist die Aufforderung “Tell me a story”, die der Autor an seine Freundin richtet. Das liegt daran, dass hier nicht etwa die eigentliche Entscheidung fällt, wie der Autor seiner Freundin und wohl auch dem Leser suggeriert, sondern dass er sie lediglich illustriert: Die Freundin hat dem Autor nicht wirklich etwas zu bieten. Aufgefordert, ihm eine Geschichte zu erzählen, verfällt sie erneut nur in das Verhaltensmuster ihm das zu sagen, von dem sie annimmt, dass er es hören will. Sie macht es ihm nur leichter, sich selbst zu belügen.

Being comfortable will get you killed.

Die Augen vor der Realität zu verschließen, ist auf lange Sicht unangenehmer. Der Partner erfüllt die ursprünglich in ihn gesetzten Erwartungen nicht. Das Deck ist schlicht nicht so stark gegen das Metagame, wie man es gehofft hat. Man redet sich ein, dass man doch eigentlich zufrieden ist, aber dann passieren immer wieder diese Streits, die jedes Mal wieder aus dem Nichts zu kommen scheinen, obwohl man doch eigentlich genau weiß, dass sie Ausdruck tiefer liegender Probleme sind; und dann passieren immer wieder diese Niederlagen, die man auf Topdecks des Gegners schiebt, obwohl man längst ahnt, dass letztlich das eigene Deck dafür verantwortlich ist, dem Gegner diese Topdecks noch zu ermöglichen.

Breaking up is hard to do… but often necessary.

Wenn Ihr immer wieder mit scheinbaren Kleinigkeiten unzufrieden seid, hinterfragt Eure generelle Zufriedenheit, da Ihr sie Euch vermutlich selbst nur einredet, weil Ihr zufrieden sein WOLLT.

Don’t just fall in love with the IDEA of falling in love.

Darum geht es in diesem Artikel.

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4 Comments on “Ein guter Artikel, und eine anscheinend notwendige Interpretation”

  1. nuegun Says:

    Also ist es doch so “einfach”. Werde aber immer noch das Gefühl nicht los, das sich dahinter mehr verbirgt. Das kommt aber wahrscheinlich daher, dass der Text unterschwellig doch ziemlich wichtigtuerisch und bedeutungsschwanger daherkommt.

    Vielen Dank übrigens für das Lob!


    • Dein Kalenderblatt lobe ich ja nicht zum ersten Mal! (Obwohl bei Deinen Leseempfehlungen weniger mehr wäre. Mir zum Beispiel ist es zu viel, um es alles anzuklicken.)

      Ich stimme dem Autor übrigens nicht in allen Punkten und Details zu:

      Einmal kann man auch zu rasch mit gewohnten Dingen unzufrieden sein, und die Weiden auf der anderen Seite des Flusses sehen immer grüner aus.

      Zum anderen erscheint einem ein radikaler Umbruch und Neuanfang manchmal auch nur leichter, als Mühe in das, was man bereits hat zu investieren – an seiner Beziehung zu arbeiten, sein Deck zu tunen und lernen es besser zu spielen – aber wenn man dann das Neue hat, ist diese zusätzliche Mühe auch wieder nötig.

      Dann sehe ich da eine prinzipielle Unmöglichkeit, heutzutage die Stärke eines Decks quantitativ über Playtestergebnisse einzuschätzen. Dafür dreht sich das Metagame heute dank Internet und MTGO einfach viel zu schnell! Bevor man genügend Zeit investieren kann, damit gewonnene Erkenntnisse aussagekräftig werden, sind diese längst bereits wieder von neuen Entwicklungen wiederholt.

      Irgendwo habe ich schon einmal einen Artikel oder Blogeintrag darüber verfasst (vielleicht findet den ja jemand?), dass man sich vom Gedanken des QUANTITATIVEN Playtestings verabschieden und stattedessen besser QUALITATIVES Playtesting betreiben sollte – nicht Matchscores zählen, sondern Spielverläufe analysieren, und fundierte Theorie über per Definition unzureichende Praxis stellen. (Den Originalartikel von Zvi mit seinem berühmt gewordenen Zitat “testing lies” schaffe ich leider nicht mehr aufzutreiben…)

      Schließlich muss ich sagen: Wenn er tatsächlich auf diese Weise mit seiner Freundin endgültig Schluss gemacht haben sollte, und dies nicht nur schreiberische Freiheit war, dann ist der Typ einfach ein Arschloch! Mit jemandem, den man liebt, geliebt hat oder auch nur zu lieben geglaubt hat, geht man so nicht um: Sie unternimmt einen letzten – wie er weiß, von vorneherein zum Scheitern verurteilten – Versuch, ihn zurückzugewinnen, und er lacht sie aus und lässt sie stehen!

      Dass sie psychische Probleme und allerlei Macken hat, weiß er schon länger. Wenn er dann trotzdem so lange mit ihr zusammen ist, ist dies mindestens ebenso sehr seine Schuld wie ihre. (Und überhaupt hoffe ich, dass er diese ganze Geschichte erfunden hat, denn über eine reale, auf diese Weise leicht zu identifizierende Person schreibt man so etwas Privates nicht!)


    • Mann, bist Du gut! Obwohl ich diesen Kommentar gar nicht gemeint habe. Ich bin mir sicher, ich habe dazu ein paar Jahre später noch einmal ausführlicher etwas geschrieben, mit einem besonderem Hinweis auf den Wert dessen, die Dynamik von Matchups zu verstehen. Aber das hier hätte ich jetzt nie im Leben gefunden…

      Auf jeden Fall war es witzig, sich einen der unsinnigsten Artikel aller Zeiten zu diesem Thema heute noch einmal zu Gemüte zu führen – danke für das Auffinden dieses Juwels!


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