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Vorurteile gegenüber Nullen und kleinen Krabblern

November 12, 2009

Da TrashT meine Vergleiche mit dem Elfmeter beim Fußball zum Anlass genommen hat, mich des “Predigens” zu bezichtigen, will ich hier noch einmal verdeutlichen, was ich mit dem psychologisch begründeten Widerwillen mancher Leute, kompromisslos Aggro zu draften, gemeint habe:

Die meisten Spieler haben, sobald sie an eine (simple, ihnen bekannte) Karte denken, sogleich Wertvorstellungen im Hinterkopf, wie gut oder schlecht diese Karte sei. Diese Vorstellungen prägen bewusst, aber auch unbewusst ihre Gedankengänge und machen es ihnen schwerer Karten, deren Wert sich in einem neuen Kontext geändert hat, angemessen einzuschätzen.

Karten wie Hedron Scrabbler oder Mindless Null sind bei ihrem Bekanntwerden beinahe einstimmig von der Magic-Welt als “Crap” eingestuft worden, während Giant Scorpion oder Pillarfield Ox eher eine Reaktion der Art “langweilig, aber solide” hervorriefen. Für M10 (das die meisten von uns wohl vorher gedraftet haben), wären diese Einschätzungen auch absolut korrekt gewesen!

In Zendikar sind die Bedingungen aber nun einmal anders. Doch selbst wenn man diesen Umstand bewusst anerkennt, verführt uns unser Unterbewusstsein immer noch zu falschen Einschätzungen. Wir sind es gewohnt, uns nach jedem Spielausgang eine Meinung darüber zu bilden, warum wir gewonnen oder verloren haben (und wir neigen natürlich alle dazu, den Zufallsfaktor nach gewonnenen Partien unter- und nach verlorenen überzubewerten).

Wenn wir nun mit im Unterbewusstsein als “solide” abgespeicherten Karten wie Giant Scorpion oder Pillarfield Ox verlieren, dann neigen wir eher dazu Dinge zu denken wie: “Mein Gegner hatte aber auch einen Killerdraw”, “das vierte Land hätte aber wirklich eine Runde früher kommen können” oder “EIN Removal hätte ich nur gebraucht!”

Wenn wir hingegen mit dem “Crap” Hedron Scrabbler und Mindless Null verlieren, dann sind unsere Gedanken seltener “Mein Gegner hatte aber auch einen superdefensiven Draw”, “ein oder zwei Länder weniger hätten es aber gerne sein dürfen” oder “EINEN Kreaturenverstärker mehr hätte ich gebraucht”, und häufiger “Naja – Scrabbler und Null sind halt Crap!”

Wir suchen jederzeit unterbewusst nach Möglichkeiten, Erlebnisse so zu interpretieren, das sie in unsere Vorstellungswelt passen. Wenn wir Karten nicht mögen, dann suchen wir nach Indzien, dass sie auch tatsächlich schlecht sind und übersehen eher, wenn sie einmal gut sind. Bei Karten, die wir mögen, ist es umgekehrt.

Gerade Scrabbler und Null haben von Anfang an einen dermaßen schlechten Ruf besessen, dass es für die meisten Spieler einer bewussten, willentlichen (und immer wieder erneuerten) Anstrengung bedarf, ihre Rolle korrekt einzuschätzen. In geringerem Maß trifft das auch auf Kreaturenverstärker wie Goblin War Paint, Vampire’s Bite oder Nimbus Wings zu.

Zu diesem Effekt kommt noch die grundlegende Dynamik von Aggrodecks hinzu: Wenn sie scheitern, scheitern sie meistens gründlich, während Kontrolle oft mit einer oder mehreren Karten in der Hand stirbt, welche die Partie gewiss gekippt hätten, wenn man nur die Zeit / das Mana gefunden hätte, sie noch auszuspielen. Darüber habe ich jedoch im Artikel bereits etwas ausführlicher geschrieben.

Ganz generell gilt jedenfalls für gute Spieler (und solche, die sich dafür halten), dass Aggrostrategien von ihnen zu wenig Respekt erhalten, weil Kontrolle sich ja so viel anspruchsvoller spielt… Dabei nutzen sie ihr überlegenes Spielverständnis oft hauptsächlich dafür, sich aus Situationen zu befreien, in die sie sich mit einer unterlegenen Strategie erst gebracht haben, anstatt dieses Spielverständnis dafür zu nutzen, um die überlegene (aber ungeliebte) Strategie noch überlegener zu gestalten.

Das Bedürfnis, seine Spielstärke möglichst stark einbringen zu können (was bei Kontrolldecks zugestandenermaßen in der Regel besser geht, einfach weil sie sich bemühen Partien zu verlängern anstatt zu verkürzen) ist nachvollziehbar, führt aber nun einmal nicht immer zum bestmöglichen Ergebnis.

Zendikar-Limited ist generell ein Environment, welches diejenigen Spieler belohnt, die sich bemühen, das Spiel möglichst schnell zu beenden und Spieler bestraft, die versuchen, das Spielende hinauszuzögern. Natürlich bedeutet das nicht, dass das Aggrodeck in jedem Einzelfall das kontrollorientierte Deck schlägt, und dass es nicht Matchups gibt, in denen es von Vorteil sein kann, seine offensive Strategie beim Sideboarden umzukonfigurieren, aber generell besitzt man nun einmal mit dem aggressivsten Ansatz die besten Gewinnchancen.