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Über real existierende Matchup-Typen (plus Mini-Arbeitsnachweis)

July 15, 2010

(Um das aus dem Weg zu räumen: Ich habe nach einer langen Pause mal wieder einen Artikel für den Planeten geschrieben. Ihr findet ihn hier.)

“Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse…”

So soll es Goethe gesagt haben, und wie wahr das doch ist! Jetzt geht doch SCHON WIEDER die Diskussion darum los, ob ein Deck mit extremeren Matchups etwa extremere Scores produziert, als ein Deck mit ausgeglichenen Matchups… Glücklicherweise muss ich mich an dieser Stelle hier nicht wirklich wiederholen, sondern kann einfach ein Link auf einen früheren Eintrag von mir setzen.

Das wirklich Traurige an dieser immer und immer wiederkehrenden Dummheit ist, dass man keinerlei höhere Mathematik, ja nicht einmal weiterführende stochastische Erkenntnisse benötigt, um sie zu widerlegen, sondern lediglich die allergrundlegendsten Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Da werden dann halb verstandene Begriffe wie Varianz oder Standardabweichung in die Diskussion geworfen, die völlig irrelevant sind, da eine identische Verteilung eine identische Verteilung eine identische Verteilung ist, und egal, auf welche Kenngrößen man sich hier bezieht: Sie sind notwendigerweise ebenfalls identisch! Ob man blind eine Kugel aus einem Behälter mit einer weißen und einer schwarzen Kugel fischt, oder ob man blind zwischen zwei Behältern wählt, in denen sich jeweils eine weiße bzw. schwarze Kugel befinden; es ist nun einmal das Gleiche. Ob man seinen Münzwurf durchführt, BEVOR man sich an den Tisch setzt (also bei der Ermittlung des Matchups) oder NACHDEM (also während des Matchups) macht ebenso keinen Unterschied.

Noch etwas kommt in diesen Diskussionen zu kurz: Nämlich die Frage, was ein “50/50-Matchup” eigentlich bedeutet! Tatsächlich gibt es ein solches Ding natürlich nicht. In der Praxis spielt eine spezielle, individuelle Version eines Decktyps gegen eine spezielle, individuelle Version eines Decktyps. Und nein, es spielen natürlich auch nicht die DECKS gegeneinander, sondern Spieler, welche ihre Decks auf unterschiedliche Art und mit unterschiedlichem Skill pilotieren (und auch dieser Skill ist keine Konstante – je nach Tagesform oder sogar Turnierdauer kann dieser unterschiedlich sein). Letztlich können irgendwelche Prozentangaben nicht mehr als eine höchst ungefähre Approximation der subjektiven Erfahrungen, die ein bestimmter Spieler mit seinem Deck (bwz. vermutlich sogar mit unterschiedlichen Versionen seines Decks) gemacht hat, darstellen. Und ich will jetzt einmal eine absolut nicht nachweisbare Behauptung in den Raum stellen: Ich denke, es gibt in diesem subjektiven Spektrum von Gewinnwahrscheinlichkeiten in der Realität genau vier Matchup-Typen! Und zwar:

a) Das “gute” Matchup (“60-40” oder “70-30” für Leute, die an den Haaren herbeigezogene Zahlenwerte für aussgekräftiger halten als Wörter). Es bedeutet: “Ich verliere nur, wenn ich Pech habe.”

b) Das “schlechte” Matchup (“40-60”, “30-70” etc…) – “Ich gewinne nur, wenn ich Glück habe.”

c) Das “Coinflip-Matchup” (“50-50”) – “Man könnte auch eine Münze werfen, um den Ausgang zu entscheiden” – es gewinnt der, der anfängt oder mehr Kopien von Karte XYZ zieht oder wasauchimmer.

d) Das “Skill-Matchup”. Wie, das kennt Ihr nicht? Das glaube ich Euch! Es bedeutet nämlich Folgendes: “Es gewinnt derjenige, der besser spielt”! Das “Skill-Matchup” kann man nicht sinnvoll mit Prozentchancen beschreiben, da der Ausgang nicht in erster Linie von den Decktypen vorgegeben ist, sondern von den individuellen Faktoren der exakten Zusammenstellung von Deck und Sideboard und des aktuellen Durchspiels. Es wird aber häufig trotzdem getan, und dann nennt man es ebenfalls “50-50”.

Offensichtlich bevorzugen gute Spieler Skill-Matchups gegenüber Coinflip-Matchups. Selbstverständlich sind ihnen gute Matchups am liebsten, wenn sie das Metagame entsprechend gut genug einschätzen können – aber an einer Mischung von guten und schlechten Matchups, die sich mathematisch nicht von einer Anneinanderreihung von Coinflip-Matchups unterscheidet, sind sie nicht interessiert!

Für einen guten Spieler stellt sich die Frage: Kann ich das Metagame genau einschätzen? Wenn ja, entscheidet er sich logischerweise für ein Deck mit guten Matchups. Das ist der Fall, in dem man “das Metagame bricht” – und wie Ihr wissen solltet, kommt das, insbesondere in etablierten Metagames, nicht allzu häufig vor! Wenn nein, dann entscheidet er sich für ein Deck, welches ihm Gelegenheiten bietet, seinen Gegner durch besseres Spiel zu besiegen. (In der guten alten Zeit hieß das häufig – aber bei Weitem nicht immer! – “blaue Kontrolle”.)

Schlechte Spieler hingegen, falls sie wenigstens kompetent und selbstkritisch genug sind, sich diesen Umstand einzugestehen, greifen bewusst nach Decks, mit denen sie weniger Fehler machen – sei es, weil sie sie besser spielen als andere Decks, sei es, weil diese Decks dazu neigen, sich von alleine zu spielen und die Einflussnahme ihres Piloten zu minimieren. Solche schlechten Spieler, denen diese Selbsterkenntnis abgeht (also die große Mehrheit) greifen hingegen gerne zu “Top-oder-Flop-Decks” und hoffen auf einen Streak von guten (sprich: nicht durch ihr schwaches Spiel verlierbaren) Matchups.

Liebe Magic-Spieler, mit Eurer Vorstellung von “50-50-Decks” vergleicht Ihr Äpfel mit Schnitzeln! All-in-Red, welches die Fehlermöglichkeiten beim Durchspiel minimert, und The Rock, welches auf Interaktion und zahlreichen unterschiedlichen Optionen basiert, haben kaum etwas gemeinsam! Dass gerade letzterer Decktyp immer wieder zum Auslöser der Diskussion um extreme oder ausgeglichene Gewinnwahrscheinlichkeiten wird, ist symptomatisch:  Wenn Ihr mit Decks, deren Siege und Niederlagen hauptsächlich durch vorgegebene Matchups zustandekommen, besser abschneidet als mit Decks, bei denen die Handlungen ihrer Piloten dazu neigen, die Spiele zu entscheiden, dann bedeutet das NICHT, dass diese Decks auf Grund irgendwelcher nebulösen stochastichen Gesetzmäßigkeiten eine bessere Wahl wären – es bedeutet lediglich, dass Euer Magic-Skill (und übrigens auch Euer mathematischer Skill) noch deutlich verbesserungsfähig ist!